Als mein Vater Ende 1941 eingezogen wurde, kam ein junger Pole zu uns auf den Hof. Er war achtzehn Jahre alt, sprach kein Wort Deutsch und sollte die Arbeite meines Vaters übernehmen. Auf dem zehn Hektar großen Hof war er der einzige Mann. Zur Seite stand ihm das Landjahrmädchen Lieselotte, etwa sechszehnjährig, das meistens im Haus war und auf uns Kinder aufpasste. Denn in der Zwischenzeit hatte ich noch eine Schwester bekommen. Unser Pole hieß Adolf, den Familiennamen konnte keiner aussprechen, also hieß er Adolf. Er wurde von uns Kindern ohne Vorbehalte als Vaterstellvertreter anerkannt, was Adolf sagte wurde von uns gemacht, so waren wir es gewöhnt - keine Widerrede! Er schlief in einem Zimmer neben der ehemaligen Fleisch- und Wurstkammer. Außer Bett, Tisch, zwei Stühlen und Schrank war noch ein altes, nicht mehr funktionstüchtiges Orchestrion in seinem Zimmer abgestellt. Vor dem Krieg stand dieses Musikinstrument in der Gaststube und spielte oft die flotten Schlager der zwanziger Jahre ab. Adolf setzte dieses Musikmöbel wieder in Gang, es spielte wieder alte Schlager, die wir bis dahin noch nicht gehört hatten. Selbstverständlich hielten wir Kinder uns am Liebsten abends bei Adolf im Zimmer auf, er spielte uns mit Vergnügen die großen Metallplatten mit den vielen Löchern vor. Außerdem war er ein großartiger Drachenbastler und ließ sie am besten steigen. So sahen wir Kinder jedenfalls unseren Adolf. Ich war stolz auf ihn. In der Zwischenzeit ging ich in die 1. Klasse der zweizügigen Dorfschule und erinnere mich, dass ich mit unserem Adolf angab. Für uns Kinder gab es das Wort Gefangener oder Zwangsarbeiter nicht. Für uns Kinder war er der wichtigste Mann auf dem Hof, denn wer holte uns denn den Weihnachtsbaum aus unserem Wald? Wer klebte mit Mehl und Wasser die Puppenmöbel wieder zusammen? Adolf war unentbehrlich und blieb trotzdem bescheiden. Nach den Anordnungen des Ortsbauernführers sollten die Fremdarbeiter nicht mit der Familie am Tisch essen. Meine Mutter hatte Angst vor diesem gefürchteten Mann im Dorf. Anlässllich eines Fronturlaubes sprach mein Vater eindringlich auf Mutter ein, sie solle ja Adolf anständig behandeln, denn er hätte viel gesehen in Rußland und Hitler wird nicht ewig leben. Also, Adolf konnte sich nicht beklagen. Er war fleißig und umsichtig und wir hatten gar nichts an ihm auszusetzen.
| Adolf und Pferd |
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