Familientagebuch
Aktion \

Die Kapitel
1.Vorwort
2.Erste Erinnerungen
3.Schokolade als Strafe
4.Vaters Erbe
5.Gegrillte Froschschenkel
6.Famile Moll aus Mönchen-Gladbach
7.Adolf kommt auf den Hof
8.Eine Ohrfeige
9.Das letzte Kriegsjahr
10.Die Front kommt näher
11.Die Amerikaner kommen
12.Der Krieg ist vorbei
13.Die Amis gehen, die Russen kommen
14.Das erste Friedenssommer
15.Vater kommt zurück
16.Die Russen greifen durch
17.Alltag nach dem Krieg
18.Unsere Hausschneiderin
19.Ablieferungsoll Eier und Mohn
20.Vater baut die Scheune neu
21.Heubisch wird thüringisch
22.Währungsreform
23.Vater und Lieselotte
24.Ostseekur für ein mageres Mädchen
25.Einsegnung und Konfirmation
26.Fahrradausflug nach Bamberg
27.Kartoffelkäferinvasion des Klassenfeinds
28.Oberschulzeit in Sonneberg
29.Tanzstunde und Pfingsten 1952
30.Zwangsumsiedlung an der Zonengrenze
31.Vater weint
32.Aktion 'Ungeziefer'
33.Die letzte Nacht in Heubisch
34.Ankunft in Jena
35.Vater arbeitet wieder
36.Mein Neuanfang in Jena
37.Erste Kontakte
38.Die Sonneberger treffen sich
39.Kontakte zu alten Freunden
40.Erster Winter in Jena
41.Der Schuldirektor und die 'Junge Gemeinde'
42.Volksaufstand 1953
43.Der Abend des Aufstandes
44.Mauerbau
45.Die Jahre bis zur Wende

Die Bilder
1.Haus
2.Saal
3.Landkarte
4.Familie Moll
5.Adolf und Pferd
6.Haus mit Mauer
7.Mein Konfirmationskleid
8.Verwandte
9.Baracke Jena
10.Antwort auf den Einspruch
11.Oswald und Vater auf der Wiese

Literatur und Links

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Im Herbst 1945 kam mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Adolf blieb so lange bei uns, bis der "Chef" wieder da war. Er übergab meinem Vater wieder den kleinen Hof. Er wollte heiraten, er hatte ein Mädchen aus Polen kennengelernt. Adolf sprach mittlerweile ganz gut deutsch. Zu unserem Erstaunen ging er nicht zurück in sein Heimatdorf nach Polen, sondern mit seinem Mädchen zusammen nach Stuttgart in die amerikanische Zone.

In einem sogenannten Auffanglager wollten sie erst einmal abwarten. Er und seine zukünftige Frau wollten weder nach Polen zurück, noch wollten sie in der russischen Besatzungszone bleiben. Wir hörten nie wieder etwas von unserem Adolf.

Mein Vater nahm wieder die Zügel in die Hand. Er führte merkwürdige Bestrafungsmethoden ein, nämlich "Stubenarrest." Er war sehr verändert, häufig hörten wir die Eltern laut streiten, was vor dem Krieg nicht geschah. Da es Spätherbst und in der Landwirtschaft äußerhalb des Hofes nicht mehr viel zu tun war, ging er oft zu den Bauern, um ein Schwein zu schlachten und es zu verarbeiten. Er war ja Fleischermeister von berufswegen. Dies brachte uns an solchen Tagen eine Wurstsuppe und kleine Leber- und Blutwürste ein.

Rückblickend sehe ich, dass mein Vater sehr fleißig war. Er nahm sich kaum Zeit, um die Strapazen der Gefangenschaft abzubauen. Er hatte nach den vier Jahren Soldatendasein viel nachzuholen. Konkrete Pläne hegte er mit seinem Anwesen, er wollte weitermachen, wo er vor dem Krieg angefangen hatte. Das Gasthaus sollte wieder ein Ausflugslokal für Familien sein, hauptsächlich für die Familien aus Neustadt.

Es war sonntags ein bequemer Spaziergang, von dem kleinen Städtchen mit Kind und Kegel durch die Mues an Wiesen, Wald und Teichen vorbei nach Heubisch zu wandern und bei uns einzukehren.

Es war bis 1939 so, dass sich die Familien in unserem Biergarten trafen, etwas aßen und tranken. Die Kinder konnten unbeaufsichtigt spielen, während sich die Erwachsenen entspannt erholten.

Deshalb hatte mein Vater ganz bestimmte Vorstellungen, wie es weiter gehen sollte. Aus diesen Plänen heraus war er bestrebt, die Gastwirtschaft mit dem kleinen Biergarten zu vergrößern und zu modernisieren. Jetzt war es Winter und er konnte nur das "Hausschlachten" bei Bedarf übernehmen. Als das Frühjahr kam und die Bestellung der Felder notwendig wurde, kam die erste Einschränkung für die Bauern.

Sie konnten nunmehr nicht einfach so zu ihren Feldern fahren, um zu säen oder Kartoffeln zu legen. Eine neue Verordnung legte fest, dass man in der Flur, die zu Bayern gehörte, nicht ohne weiteres die Feldarbeiten verrichten konnte, die nötig waren. Man brauchte einen Passierschein. Diesen bekam nur derjenige, der an- und hinter der thüringischen Grenze Felder und Wiesen oder Wald besaß.

Die ganze sowjetische Besatzungsregime hatte isch stabilisiert. Rechts und links der Landstraße, die nach Neustadt führte, waren Schilderhäuschen und Schlagbaum fest aufgestellt worden. Im Schilderhäuschen waren immer zwei sowjetische Soldaten, die jeden, der vorbei wollte, nach dem "Dokument" fragte. Erst nach Vorlage des Passierscheines konnten die Bauern mit ihren Fuhrwerken weiterfahren, der Schlagbaum öffnete sich. Die grüne Grenze, die öft Grundstücke teilte, und vor dem Krieg für alle unbekannt war, stellte jetzt ein Problem dar. Die sowjetischen Soldaten liefen nur Streife, oft selbst nicht wissend im Wald und in der Flur, wo eigentlich die Grenze zwischen Thüringen und Bayern ist.

Männer, die nun wieder aus der Gefangenschaft ins Dorf zurückgekommen waren, machten sich oft lustig über die "Russen" und nahmen sie auf keinen Fall ernst. Im Gegenteil, die Jüngeren, zu denen auch mein Vater gehörte, spielten denn Soldaten oft einen Streich. Dafür mußten sie in der Kommandantur Kartoffel für die Mannschaft schälen oder auch das Haus saubermachen . Aber alles wurde als gutmütiger Witz abgetan, die Grenze und der ganze Unfug mit Thüringen und Bayern konnte doch nur eine vorübergehende Maßnahme sein.

Kein Mensch dachte daran, dass die Grenze lange Bestand haben würde. Die Vorstellung nicht mehr nach Coburg oder nach Nürnberg fahren zu können, war nicht nachvollziehbar.

Umsetzung: Webmeisterei Schleevoigt