Wie schon erwähnt, begannen wir uns im Dorf an die neuen Verhältnisse, nämlich an die Grenzziehung und an die Besatzung durch die Russen zu gewöhnen. Nach und nach orientierten wir uns auf die nächstliegende Stadt in Thüringen, also nach Sonneberg. Es war die Kreisstadt, alle für uns zuständigen Behörden waren nun dort aufzusuchen. Kinder, die eine weiterführende Schule besuchten gingen nicht mehr nach Neustadt oder Coburg sondern nach Sonneberg. Es wurde notwendig, den Friseur, den Schuhmacher, die Schneiderin oder in unserem Falle , eine Brauerei als Bierlieferant für die Wirtschaft nun in Sonneberg zu suchen. Der Weg dorthin ging ab Oberlind immer bergauf. Das Fahrrad, das einzige Verkehrsmittel, musste den steilen Hügel hinangeschoben werden, lag doch Sonneberg am Fuße des Thüringer Waldes. Größere Städte waren in Thüringen nun für uns Saalfeld und Rudolstadt, allerdings von unserem Dorf ziemlich weit entfernt. Die Bahnlinie, die von Lichtenfels nach Coburg führte und bei uns eine Bahnstation hattet, war eingestellt worden. Der nächste Bahnanschluß war in Sonneberg, für uns 8 km entfernt. Zwei Jahre fuhr ich mit dem Fahrrad bei Wind und Regen, Sommer und Winter nach Sonneberg um das Gymnasium zu besuchen. Kam ich um 7 Uhr dort an, war ich schon einmal völlig fertig. Ab Oberlinder Hügel hatte ich das Fahrrad bis in die Schleicherstraße zu schieben, denn von dort ging es steil bergauf bis zu dem Backsteingebäude, dem Gymnasium. Im Sommer völlig verschwitzt, im Winter mit nassen Füßen, ziemlich erschöpft, so begann für mich der Schultag. War ich nachmittags zu Hause wieder angekommen, warteten viele Pflichten auf mich, so dass ich Schularbeiten nur am späten Abend erledigen konnte.
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