Ein persönliches Erlebnis, dass mich sehr berührte und mich lebenslang prägte, fiel in diese Zeit. Lieselotte hatte uns verlassen, leider nicht ganz ohne eigene Schuld. Sie war schon über vier Jahre bei uns und hielt den Haushalt in Ordnung. Uns Kindern war sie eine zweite Mutter, sie war jederzeit für uns da. Meine kleine Schwester brachte sie ins Bett, wusch sie und zog ihr am Morgen die Kleidung an. Was war plötzlich geschehen? Lieselotte hatte mit meinem Vater ein Verhältnis, meine Mutter war wieder dahintergekommen und es kam zu einem unvermeidlichen großen Krach. In der Gaststube fand das ganze Drama seinen Höhepunkt. Meine Mutter schimpfte auf sie ein, Lieselotte weinte, ihre Mutter, die geholt wurde um ihrer Tochter beizustehen, verteidigte sie. Mein Vater versuchte sich zu rechtfertigen, aber es hörte ihm keiner zu. Die drei Frauen schrien sich gegenseitig an, sie weinten und beschimpften sich. Wir beiden Kinder, ich zwölf Jahre alt, meine Schwester erst sieben Jahre, waren Zeugen dieses Auftritts. Wir verkrochen uns in die hinderste Ecke der Gaststube und hielten uns die Ohren zu. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung war, dass die Mutter von Lieselotte ihre Tochter mit nach Hause nahm. Von diesem Zeitpunkt an waren wir ohne Hilfe. Die Arbeiten, die Lieselotte im Haus verrichtet hatte. wurden nun auf mich abgeschoben. Als zwölfjähriges Mädchen konnte sie aber natürlich nicht ersetzen. Von da an hatten wir keine geordnete Haushaltsführung mehr. Die Wäsche wurde nicht mehr gebügelt, die Betten nicht mehr regelmäßig gemacht, die Strümpfe und andere Wäscheteile wurden nicht mehr ausgebessert. Es war bei uns keine Ordnung mehr. Meine Mutter schaffte es eben nicht. Oft war am Abend kein Brot im Haus, ich musste in die Nachbarschaft borgen gehen. Das tat mir weh, kam ich mir doch wie eine Bettlerin vor. In dieser Zeit fing ich an zu stottern. In der Schule war ich die Stotterliese. Ich schämte mich für meinen Vater. Das ganze Dorf hatte natürlich wieder alles erfahren, was bei uns passiert war. Selbst die Geschwister meines Vaters, meine Tanten, sind von ihm abgerückt. Solche Sachen durfte man sich in einem kleinen Dorf nicht leisten! Die allgemeine Meinung war, er solle froh sein, dass er unversehrt aus dem Krieg gekommen war und nicht solche Lumpereien machen. In der Schulpause rückte man von mir weg und flüsterte sich schlimme Sachen über meinen Vater in die Ohren. Ich schämte mich sehr. Mein Stottern hörte erst auf, als ich in eine andere Schule kam, nämlich nach Sonneberg ins Gymnasium, damals Oberschule genannt. Eine gute Erfahrung für mich war allerdings auch, dass nach einer schlimmen, faßt aussichtslosen Situation das Leben doch wieder seinen normalen Verlauf nahm. So sahen wir Kinder es jedenfalls. Eine Ehescheidung oder eine Trennung wurde nicht in Betracht gezogen. Die täglichen Pflichten stellten jeden Partner an seinen Platz und verlangten ein großes Pensum an Arbeit von jedem beteiligten.
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