Wie wir die letzte Nacht in unserem Haus verbracht haben, kann ich mich nicht mehr erinnern. Nachdem meine Eltern das letzte Mal im Stall waren, um die Tiere zu versorgen, gingen sie auf die Straße und gaben den Volkspolizisten, die immer anwesend waren, alle Schlüssel. Wir betraten das Haus nicht mehr und schlossen es auch nicht ab. Am Morgen des 6. Juni stand ein LKW vor unserem Haus und wir erhielten den Befehl, Möbel und persönliche Sachen aufzuladen und dann selbst auf die Ladefläche des LKW zusteigen, um abtransportiert zu werden. Immernoch wußte niemand, wohin wir gebracht werden. Gerüchte und Vermutungen jagten uns Angst ein. Ist es vielleicht Buchenwald oder etwa ein anderes Internierungslager jenseits der Oder/Neiße Grenze? Wieder konnten wir keine Hand rühren, wir standen davor und Nachbarn luden unsere Möbel auf. Wieder war es Edelgard, die bestimmte, was mitgenommen werden soll, was eine Familie ungedingt brauchte. Verwandte und Nachbarn standen um uns herum, die blanke Angst in den Augen, daran denkend, wie es weitergehen sollte, ob sie auch abgeholt würden. Als wir auf den LKW aufgestiegen und zwischen vier Bettgestellen, einem Tisch und vier Stühlen, einem Kleiderschrank, der Nähmaschine und dem Küchenschrank einen Platz zum Sitzen gesucht hatten, weinten alle Leute auf der Straße und wir auch. Nachdem sich der LKW in Bewegung gesetzt hatte, winkte niemand. Alle verzogen sich in ihre Häuser und machten die Tür fest hinter sich zu. Von jedem Ort, der innerhalb der 5-Kilometer-Zone lag, fuhren an diesem Tag die LKWs zur Bahnstation, beladen mit Möbeln und verstörten Menschen. Die Dörfer, die wir durchfuhren, waren wie ausgestorben. Niemand war auf der Straße, auf dem Hof oder am Fenster zu sehen. Alles wirkte unbewohnt. Nicht nur wir auf den LKWs hatten große Angst, wohin es gehen wird, auch die Zurückgebliebenen wollten sich das Bild des Abtransports nicht im Gedächtnis einprägen. Sie wollten nichts sehen und hören. Der Mensch kann auch nur ein bestimmtes Maß an Unglück ertragen, wird es überstiegen, setzt eine Verdrängung des Geschehenen und Gehörten ein. Man will und kann nicht mehr hinsehen. So war es auch an diesem schönen Sommertag des 6. Juni 1952.
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