Ich war zwar noch Schülerin, aber am Ende des Schuljahres, mitten in den Abschlußprüfungen konnte ich wohl keine neue Schule besuchen. Außerdem sagte mein Vater, er könne mich nicht mehr zur Schule schicken, ich müsse auch mit Geld verdienen. Mitte Juni schickte er mich zu einem Bauern. Am Tag arbeitete ich auf dem Feld, abends schlief ich zuhause in der Baracke. Der Pfarrer des Ortes war der Einzige, der uns besuchte. Er hatte von den Zwangsaussiedlungen entlang der Zonengrenze gehört und sprach mit uns. Mich lud er zur "Jungen Gemeinde" ein, die sich an einem Abend in der Woche traf, um zu lesen und zu reden. Er war es auch, der meinen Vater überzeugte, dass ich einen Beruf erlernen müsse, wenn ich schon keine weiterführende Schule mehr besuchen könne. Diesem Pfarrer verdanke ich, dass ich den Beruf einer Chemielaborantin erlernen durfte. Er ließ sich von mir meine letzten Zeugnisse zeigen und empfahl, dass ich einen Beruf im naturwissenschaftlichen Bereich erlernen sollte. Im Fach Chemie hatte ich die einzige sehr gute Note in der Oberschule. Er hat eine gute Empfehlung gegeben. Es stellte sich heraus, dass ich für diese Ausbildung ausgesprochen gut geeignet war. Große Probleme machte mir allerdings mein fränkischer Dialekt, über den meine Mitschüler und auch die Lehrer hinter vorgehaltener Hand lachten. Aber oft war es so, dass sie sich nicht mehr zurückhalten konnten, die ganze Klasse lachte laut und schallend auf meine Kosten. Ich wurde rot und konnte mir gar nicht vorstellen, warum man lachte, sprach ich doch laut und meistens war alles richtig, was ich sagte. Aber es war der Dialekt, der in Jena auffällig war. Auslachen wollte ich mich auf keinen Fall lassen, kamen doch oft Mitschüler zu mir und fragten mich um Rat, wenn sie etwas nicht verstanden hatten. Also, ich musste mich so schnell wie möglich anpassen, von meinen Eltern konnte ich keinen Ratschlag entgegennehmen, in dieser Hinsicht waren sie kein Vorbild für mich. Ich suchte mir andere Personen, von denen ich etwas abschauen, aber auch Verhaltensregeln erfahren konnte, ohne ausgelacht zu werden. Dies gelang mir durch meine guten Leistungen. Am Ende meiner 3-jährigen Lehrzeit konnte ich mir aussuchen, in welchem Labor ich angestellt werden wollte. Ich hatte großes Glück, dass ich es mit klugen Vorgesetzten zu tun hatte und diese Chefs mir auch in allen Lebenslagen Vorbild waren, mich leiteten und väterlich führten. Es ist mir sehr bewußt, dass ich einen guten Schutzengel hatte, denn nicht immer sind fremde Menschen so uneigennützig. Die Konzentration auf meinen Beruf bzw. auf die schulische Ausbildung hatte natürlich auch eine Ursache. Wenn ich nach dem Unterricht nach Hause kam, warteten keine Pflichten mehr auf mich. Zu anderen Unternehmungen, wie Kino oder Ausgehen, hatte ich kein Geld. Mein monatliches Lehrlingsgeld betrug im ersten Lehrjahr 25,- Mark. Von diesem Geld musste ich Straßenbahnfahrscheine und die Essenmarken für das Betriebsessen bezahlen, alle Materialien für die Schule anschaffen und mir meine Kleidung selbst kaufen. Für Ausgehen oder Tanzvergnügungen blieb also nichts übrig.
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