Der Heubischer Viktor
Tagebuch des Landwirts, Metzgers und Schankwirts Viktor Walther aus Heubisch 
Einleitung

Die Jahre
1.März 1916
2.April 1916
3.Ostern 1916
4.Mai 1916
5.Juni 1916
6.Sommer 1916
7.Herbst 1916 / Das zweite Kriegsjahr
8.Weihnachten 1916
9.Winter 1917
10.Ostern 1917
11.Frühjahr 1917
12.Sommer 1917
13.Herbst 1917
14.Weihnachten 1917
15.Winter 1918
16.Frühjahr 1918
17.Sommer 1918
18.Herbst 1918
19.Weihnachten 1918
20.Winter 1919
21.Frühjahr 1919
22.Sommer 1919
23.Herbst 1919
24.Winter 1920
25.Frühjahr 1920
26.Sommer 1920
27.Herbst 1920
28.Winter 1921
29.Frühling 1921
30.Sommer 1921
31.Herbst 1921
32.Winter 1922
33.Sommer 1922
34.Herbst 1922
35.Winter 1923
36.Frühling 1923
37.Sommer 1923
38.Herbst 1923
39.Das Jahr 1924
40.Das Jahr 1925
41.Das Jahr 1926
42.Das Jahr 1927
43.Das Jahr 1928
44.Das Jahr 1929
45.Das Jahr 1930
46.Das Jahr 1931
47.Das Jahr 1932
48.Nachruf
Das Ende
Die Fortsetzung

Bilder
  Postkarte(120kByte)
  Tafel am Haus
  Torfstechen
  Urkunde
  Umgebungsplan

URL2Doc Diese Seite
für den PalmPilot

  
weiter...

Sonntag, d. 29. 9. 18 

Regnerische Witterung die ganze Woche über, so daß nicht ewig viel Arbeit geleistet wurde. Adolf ist Dienstag wieder weg. Alfred und ich begleiteten ihn bis Coburg.

Die politische Situation im Reich ist recht verworren, kein Mensch weiß, was werden will. An der Front pocht es ganz gewaltig. Amerika im Verein mit England soll durchaus der Durchbruch gelingen. Herbststimmung. Bulgarien hat einen Sonderfrieden mit der Entente beantragt. Alles ist in Aufregung deswegen.

Der erste Schritt unseres Zusammenbruchs??

Sonntag, d. 6. 10. 18 

Der Sonderfrieden Bulgariens mit der Entente ist im Gange. Im Laufe dieser Woche hat Deutschland eine Volksregierung erhalten. Graf Hertling mußte zurücktreten und Prinz Max v. Baden wurde sein Nachfolger. Paier blieb Vizekanzler. Die Minister und Staatssekretäre wurden sozusagen von den Fraktionen gewählt Scheidemann ist Staatssekretär.

Rückblick:
Vor 2O Jahren unter Bismarck das Sozialistengesetzt und heute die Sozialdemokratie Regierungspartei. Es scheint, der Vorwärts ist das Regierungsblatt geworden und hat die Norddeutsche Allgemeine und auch die Germania unter Hertling verdrängt. Die ganze Regierungsgewalt liegt jetzt in den Händen der beiden Staatssekretäre, Scheidemann und Gröbers.

Im Reichstag hielt der Kanzler seine Antrittsrede echt demokratisch. Er betonte ausdrücklich:"Alles für das Volk."

Sonnabend, d. 12. 10. 18 

Eine recht traurige Nachricht heute. Gestern Abend erhielten wir eine Depesche, lautend, daß unser Adolf im Kriegslazarett zu Belgrad gestorben ist. Das schlug wie eine Bombe ein . An dieses Ende hat wirklich niemand gedacht, um so mehr, da er 3 Wochen auf Urlaub in unserer Mitte weilte und uns vor 14 Tagen erst verlassen hat. Es ist eine Erleichterung einesteils für uns, weil wir wissen, daß er sich recht vergnügt gemacht und es ihm recht wohl gefallen hat, andernteils durch die kurze Trennung, desto schmerzlicher. Jetzt, wo man doch denkt, daß dieser schreckliche Krieg seinem Ende entgegen geht, muß noch das Bittere passieren. Es kann ja sein, daß er vielem Ungemach, das uns noch bevorsteht, aus dem Wege gegangen ist, aber immerhin, es ist nur ein schwacher Trost, das Trauern bleibt uns übrig. Wenn wir nur etwas Näheres über seine Verwundung und seine letzten Stunden wüßten! - Am Donnerstag ist Alfred wieder fort zu seinem Ersatzbataillon nach Thorn. Er war noch bei Lina einen Tag zu Besuch.

Sonntag Morgen 

In der Natur ein schöner Morgen, alles so friedlich, so ruhig. Die Sonnenkönigin geht ihren gewohnten Siegeslauf, und im Herzen, ach so öde, so traurig, über den Verlust unseres guten Jungen.

Die Tröstungen des Vaterlandsgefühls, die Tröstungen der Kirche sind mir versagt. Ich habe sie gewogen und zu leicht befunden, ihre Moral für die Heuchelei gehalten, die Menschheit zu berücken und zu betören, sonst wäre dieses Menschenmorden nicht möglich gewesen. Thron und Altar haben versagt, vollständig versagt und sind ihres Zusammenbruchs gegenwärtig und aus diesem Zusammenbruch soll der Freiheit Morgenröte erstehen, aber ach, erkauft mit großen Opfern, mit vielem Blute, das niemals wieder zu ersetzen ist. Und solches Opfer mußten auch wir bringen. Wie froh und wohlgemut ging er wieder fort, ohne daran zu denken, auf ein Nimmerwiedersehen, nur Erinnerung bleibt uns.

Dienstag, d. 15. 10. 18 

Der Verlust unseres Adolf ist schwer zu verschmerzen, er war ein zu guter Junge.

Mittwoch, d. 16. 10. 

Heute erhielten wir die weitere Bestätigung vom Tod unseres Adolf, durch den Chefarzt des Kriegslazaretts zu Belgrad, welches lautet:

Herrn Viktor Walther, Heubisch bei Sonneberg S.M.
Das Kriegslazarett 54B erfüllt hiermit die Pflicht, Sie vom Ableben Ihres Sohnes in Kenntnis zu setzen. Am 10. 10. Vorm. wurde er im Lazarett aufgenommen und er starb bereits am Nachmittag desselben Tages 5.3O Uhr an Lungenentzündung, ohne besondere Wünsche in den letzten Stunden noch zu äußern. Die Beerdigung fand auf dem Heldenfriedhof in Belgrad unter militärischen Ehren statt. Gott tröste Sie in Ihrem Schmerz um den Sohn. Der hinterlassene Geldbetrag von 17.07 Mark, sowie das sonstige Eigentum wird Ihnen umgehend zugesandt werden.
Der Chefarzt
(Unterschrift)
Stabsarzt
So wäre nun ein Menschenleben erledigt, einer von den Millionen in diesem Kriege, blühend, in Jünglingsjahren von 23 Lenzen und es paßt wohl das Lied für ihn
Ach wie bald, ach wie bald, schwinden Schönheit und Gestalt.
Gestern noch auf hohen Rossen.
Heute durch die Brust geschossen.
Morgen in das kühle Grab.
Am 16. das letzte Sandkorn gesät auf 7a.

d. 18. 10. 18 

Von einem Kameraden Adolfs erhielten wir heute Nachricht aus Belgrad. Er war der Bettnachbar von Adolf und hat sein Ende mit angesehen und schrieb, daß er die letzten Minuten schwer gekämpft hat. Derselbe lag auch schwer an Lungenentzündung darnieder und nahm sein letztes Vermächtnis in Empfang.

Sonntag d. 20. 10. 18 

Für Adolf wurde heute in der Kirche abgedankt. Nachmittag 4 Uhr. Schlechtes Wetter, es regnet immerzu.

Sonntag, d. 3. 11. 18 

Die Abdankung des Kaisers steht bevor. Oestreich macht einen Sonderfrieden, in Ungarn, in Wien Revolution,. Kaiser Karl auf der Flucht, Habsburg hat auch ausgespielt.

Die ganze Woche recht schöne warme Witterung. Unten Wollngarten geackert, abgenommen, Kompost gefahren.

Sonntag, d. 10. 11. 18 

Die politischen Begebenheiten überstürzen sich. Eine ereignisreiche Woche. Der Bolschewismus ist in Deutschland eingedrungen. Die neue russische Gesandtschaft hat in dieser Beziehung ihre Schuldigkeit getan. Joffe hat fleißig gearbeitet. Die Aktion nahm in Kiel ihren Anfang, indem die Kriegsschiffe und der ganze Kriegshafen in die Hände der Matrosen kam, ohne daß dabei viel Blut geflossen wäre. Die Offiziere ließen sich meistens widerstandslos verhaften. Ebenso kam die Stadtverwaltung und die Lebensmittelversorgung in die Hände des Arbeiter- und Soldatenrates.

Die Bewegung pflanzte sich rapid fort über Hamburg, Lübeck, Bremen u.s.w. In Hannover sollen 82 Offiziere erschossen worden sein. Ich war gestern in Coburg und habe ein Schweinchen gekauft. Die Soldaten dort, die von auswärts kamen, sagten, überall würden den zurückgehernden Soldaten und Offizieren die Waffen abgenommen (Eisenach, Gotha, Erfurt) und diejenigen, die an die Front wollen, werden wieder heim geschickt. Die ganze Bewegung kam schneller als man gedacht hat. Der Waffenstillstand muß bis Morgen Mittag geregelt sein.

Der Kaiser ist endlich zurückgetreten. Bayern ist Republik. König abgedankt. Coburg Arbeiter- und Soldatenrat, Sonneberg auch.

Dienstag, d. 12. 11. 18 

Heute Mittag 1 Uhr wurde Julius Löffler beerdigt. Er erkrankte an Lungenentzündung und Grippe und war nur ein paar Tage krank.

Der Umsturz ist nun in ganz Deutschland fertig, sämtliche Fürsten mußten abdanken. Die ganze Macht liegt in den Händen des Arbeiter- und Soldatenrates. Liebknecht hißte selbst die rote Flagge auf dem Kaiserschloß und hielt dann eine Ansprache von dem historischen Eckfenster des Schlosses an das Volk. Der Kaiser mit Familie ist nach Holland geflohen. Welche Wandlung in so kurzer Zeit. Kaiser Wilhelm schrieb anno 70 nach der Schlacht von Sedan an seine Frau:
"Welche Wandlung durch Gottes Fügung???"

Mittwoch, d. 13. 11. 18 

Heute fand ein großer Umzug des Arbeiter- und Soldatenrates in Neustadt unter sehr großer Beteiligung statt. So wäre nun in ganz Deutschland die Regierungs- sowie Militärgewalt in den Händen des Arbeiter- und Soldatenrates, oder - der Sozialdemokratie. Seit Montag Mittag haben wir nun Waffenstillstand und auf alle Fälle das Ende des Krieges.

Aber was für ein Waffenstillstand?
Wir sind vollständig in die Hände der Sieger gegeben und unserer wirtschaftlicher Ruin wird unausbleiblich sein, auch kann die Ernährungsfrage in die Brüche gehen. Der Schlußakt dieses Krieges geht meiner Prophezeiung gemäß mit erschreckender Wirklichkeit in Erfüllung.

Donnerstag, d. 14. 

Die Abdankung des Kaisers wurde in Paris in allen Theatern bekanntgegeben. Unbeschreiblicher Jubel in allen Straßen. Die allgemeine Ansicht ist die, daß die Abdankung des Kaisers das Ende einer Weltanschauung bedeutet, die zum Untergang bestimmt ist und nie wieder erstehen wird. In politischen Kreisen folgt man dem Geschehen in Deutschland mit der größten Spannung.

Sonnabend, d. 16. 11. 18 

Gestern die letzten Rüben heraus. Ein sehr kalter, windiger, mit Sonnenschein verbundener Tag. Bin selber etwas unpaß. Der Krieg ist nun zu Ende und nach den Waffenstillstandsbedingungen ist es unmöglich, daß er wieder aufkommen kann, denn wir sind zu vollständiger Ohnmacht verurteilt. Die Bedingungen sind zu hart.

Sonntag, d. 17. 11. 18 

Kalter Tag heute. Soldaten passieren so langsam ein. Rauscherts Wilhelm und Ludwig Schmieds Hermann, Brückners Ernst und Reinhold, verschiedene Jüngere u.s.w. Unser Abtransport und Rückzug über die Rheingrenze mag schlimmer sein, als vor 100 Jahren Napoleons Rückzug aus Rußland. Was uns in den nächsten Wochen und Monaten bevor steht? Niemand weiß es, aber das ist uns sicher, daß es schwer wird.

Bußtag, d. 20. 11. 18 

Witterung ruhig und kalt. Gestern bei Onkel Louis geschlachtet. Sonst wird man von dieser außergewöhnlichen, grundstürzenden, das Alte wegfegenden Zeit bei uns wenig gewahr, überhaupt für diejenigen Leute, die wenig, oder gar keine Zeitung lesen.

Sonntag, d. 24. 11. 18 

Heute morgen die Scheiben an jedem Fenster gefroren. Jetzt 1/4 10 Uhr prächtiger Sonnenschein. Donnerstag bei Gustav geschlachtet. Politik?

Stille vor dem Sturm. Jammern der Zeitungen wie folgt:

"Jeder Deutsche, auch wenn er von der Not der Zeit fast erdrückt ist, muß in diesen Tagen die furchtbarsten Geschehnisse bedenken, die an unserer Westgrenze vor sich gegehen. Von den Bedingungen des Waffenstillstands bezwungen haben wir ihnen weite Provinzen und reiche Städte freiwillig geöffnet. Wer hätte uns jemals solche Gedanken zu denken auch nur in Aussicht stellen dürfen. Wir waren so vertraut geworden mit der Gewöhnung, tief in Feindesland zu stehen, daß wir es heute noch gar nicht zu fassen vermögen, wie alles so anders geworden ist. Noch sind die brutalen Tatsachen, daß Franzosen, Engländer und Amerikaner Metz, Mühlhausen und Kolmar bereits besetzt haben, daß sie jetzt in Straßburg, in wenigen Tagen in Köln, Koblenz und Mainz sein werden, uns nicht in das Bewußtsein eingegangen. Und dann unsere Flotte? Schiff an Schiff in langen Reihen fährt der beste Teil der deutschen Marine westwärts, um sich in englischen Häfen zu melden. Der König von England wird Appell halten, die Kapitäne der deutschen Marine werden antworten. Von den kühnen deutschen Kreuzern wird die Flagge sinken und auch die U-Boote, wie eine Herde zusammen getrieben, hinter das Gatter gebracht, werden das Reichsbanner streichen.
Schlägt noch ein deutsches Herz? Blickt noch ein deutsches Auge, überschwemmt von Tränen? Noch in Jahrhunderten wird solch Schicksal unvergessen sein. Aber niemals wird man sagen können, daß solch Schicksal zugleich Schande war. Vier Jahre Übermacht widerstanden. Dann waren es der Gegner zuviel geworden. Und so geschah, was jedem anderen Volke schon früher geschehen wäre. Wir stehen geschlagen aber unbefleckt vor Welt und Geschichte."
Die Oldenburger Nachrichten, die Kaiser und Fürsten früher verhimmelten, schreiben:
"Dem monarchistischen Gedanken wurde ein unvereinbarer und unvergeßlicher Schlag versetzt, durch die Flucht des Kaisers nach Holland. Schon die Entfernung des Prinzen Heinrich aus Kiel unter Anwendung von List, dem irreführenden Gebrauch der roten Fahne, verursachte einen denkbar schlechten Eindruck. Vernichtend aber wirkt die Flucht des entthronten Kaisers über die holländische Grenze."
Zusammenbruch und Kaiser: Eine ungeheure Flut von Bitterkeit steigt daraus im Volke empor. Der Mann, der die Soldaten aufforderte, bis zum letzten Mann den anvertrauten Posten zu halten, der Hingebung und Treue bis zum Tode verlangte, der von Millionen die Todesbereitschaft forderte, und Hunderttausende für sich in den Tod gehen ließ, er entzieht sich gewissenlos und feige der Verantwortung, er verläßt seinen Posten und sein Volk und sein Vaterland und bringt sich schnöde in Sicherheit, unbekümmert, was er hinter sich läßt und was ihm nachkommt. Und wenn er sich als Kaiser beseitigt fühlte, so war er doch Offizier, Feldherr und Heerführer und hätte samt seinem Sohn seiner Offiziers- und Feldmarschallspflicht gehorchen und ausharren müssen.

Was tat der Kapitän der "König"? Er ließ für seine Flagge sein Leben. Der Kaiser zog die Fahnenflucht vor und begab sich in Sicherheit. Der letzte Hohenzoller trat die Farben des Reiches und seine unbefleckte Ehre mit Füßen. In desto höherem Glanz erstrahlt die Ehre des Volksheeres, das über vier Jahre Unvergängliches leistete, vom letzten Soldaten bis hinauf zu Hindenburg, der Welt von Feinden die höchste Achtung abrang und den blanken Schild des ehrlichen Namens schützend und schirmend auch noch über ein zusammengebrochenes und beklagenswertes Deutschland hält. Wenn es etwas gibt, das den fürchterlichen Eindruck der Waffenstillstandsbedingungen noch übertrifft, so ist es die Flucht des letzten Hohenzollern als fürchterliches Ende.

Über diesen Aufzeichnungen höre ich die Glockenklänge von Neustadt, also so rein ist die Luft, und doch die Welt (die Menschheit?) so schlecht.

Sonntag, d. 1. 12. 18 

Im Verlaufe dieser acht Tage in der hohen Politik und Revolution viel vorgekommen, aber wenig aufzuzeichnen . Es ist des Guten (oder Bösen?) zu viel. Alfred ist am Dienstag von der Westfront wieder gekommen.

Donnerstag, d. 5. 12. 18 

In der Müß haben wir ein paar Tage Erlen und Birken umgegraben. Alfred hilft auch mit. Feuchte und neblige Witterung. Habe mir dabei einen Schnupfen geholt. Das Brückchen über den mittleren Müßgraben wollen wir auch reparieren.

Die Lage in unserem Vaterlande ist recht böse, und recht schwere Zeiten stehen uns bevor. &UuML;berall glimmt es unter der Asche. Es bedarf nur eines Luftzuges und die Flamme schlägt empor und der Feind steht auf dem Sprunge, unser Land zu überschwemmen, und - zu vernichten.

Am Dienstag war eine Bauernversammlung in Oberlind. Die Ausführungen des Redners, eines Herrn Döbrich aus Buchenhof, klangen recht pessimistisch:

"Die Ernährungsfrage macht unseren führenden Männern die schwerste Sorge. Wir stehen vor dem Zusammenbruch. Das monarchistische System ist für alle Zeit erloschen."
Jeder Tag, jede Stunde bringt Änderungen. Die Forderungen unserer Feinde steigen ins Ungeheure. Elsaß und Lothringen ist vom Feinde besetzt. Ebenso die Rheinprovinz Köln, Koblenz und Mainz. In die Rheinpfalz sind farbige Truppen eingezogen.

Sonntag, d. 15. 12. 18 

Warmes Wetter, Regen und Nebel, die Signatur der Woche, so daß man nicht glaubte, daß Weihnachten vor der Türe ist. Sonst in der Müß geschafft. Freitag bei Emmy geschlachtet. Vergangenen Sonntag Versammlung hier. Knauer sprach über das neue Deutschland.

Heute Nachmittag Versammlung. Es wird ein Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat gewählt, anschließend ein Lebensmittelausschuß. Die Soldaten kehren so nach und nach heim. Vergangenen Montag kamen auch Albin und Markus, von letzterem viele Wochen nichts gehört, gesund und wohl nach Hause. Die Wirrnis unseres Landes hält an, wie es nach Revolution und Umsturz nicht anders zzu erwarten ist und unter der grausigen Niederlage noch verdoppelt wird.

Für die Nationalwahlen wird an allen Seiten mit Nachdruck gearbeitet. Jede Partei will den Sieg erringen, um mitregieren zu können.

Gestern zwei Tische voll Gäste, eine Seltenheit, man merkt doch, daß die meisten Soldaten wieder zu Hause sind. Heute Nachmittag große Gemeindeversammlung, behufs Wahl eines Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrates, anschließend Wahl einer Lebensmittelkommission. Die obere Stube war dicke voll. Gewählt wurde als Bauernrat: Onkel Ernst, Onkel Louis und Schwarzen Emil, als Arbeiterrat Reinhold Schwämmlein, Ernst Glaser und Holland.

Lebensmittelverteilung: Karl Rauschert I., und II. Friedrich Scheurich, Hermann Jacob, Markus Knauer und Frau Engelhard. In den nächsten Tagen Sitzung der Kommission.

Sonntag, d. 22. 12. 18 

Trübe, regnerische Witterung die ganze Woche über. Bei Siemer geschlachtet und bei Langbeins. In Sonneberg bei einer Sitzung gewesen.

Die Nationalwahlen sind von der Regierung auf den 19. Januar festgesetzt. Dann folgen die Landtagswahlen, anschließend die Gemeinderatswahlen, folgend die neuen Gemeindebeamtenwahlen. Also ein ganz neues Bild, anpassend der Revolution und den neuen Zeitverhältnissen. Im Allgemeinen Ruhe im Lande und alles steht unter dem Eindruck des Zurückflutens und Heimkehrens unserer Truppen. - &UuML;bermorgen schon Weihnachtsheiligabend. Durch die lange Zeit anhaltende warme Frühlingswitterung hält man es eben nicht für möglich, daß wir in der Zeit schon so weit vor geschritten sind.

An die deutschen Arbeiter
Die Errungenschaften der sozialistischen Revolution sind in Gefahr. Die drohende Katastrophe zeichnet sich täglich deutlicher ab. Vergeßt nicht, wie wir stehen! Der Krieg hat uns arm gemacht. Die Niederlage noch ärmer. Unser Boden ist vernachlässigt und ausgesogen, unser Vieh abgschlachtet, unsere Verkehrsmittel sind heruntergekommen, die Rohstoffe mangeln. Drückende Waffenstillstandsbedingungen lähmen unsere Bewegungsfreiheit. Ungeheuer sind die Lasten, die ein siegreicher Feind uns aufbürdet. Arbeiter, in Euerer, nur in Euerer Hand liegt es, das Verhängnis abzuwenden. Ihr müßt unsere zusammengebrochene Wirtschaft wieder aufrichten. Ihr müßt dafür sorgen, daß uns Hunger und Bürgerkrieg erspart bleiben, und das, was unweigerlich auf Bürgerkrieg folgt: die Verwüstung der Errungenschaften der Revolution, Euerer Revolution. Ihr müßt arbeiten. Der Sozialismus verlangt Arbeit, kann nur bestehen auf der Grundlage der Arbeit. Wer feiern muß, soll Unterstützung erhalten. Geht nicht in die großen Städte, geht aufs Land. An der Vernunft, an der sozialistischen Disziplin jedes Einzelnen hängt das Dasein, die Freiheit, die Zukunft unserer sozialistischen Republik.

Der Rat der Volksbeauftragten
gez. Ebert, Haase,Scheidemann,
Dittmann, Landsberg, Barth

   weiter...