Ein trüber regnerischer Morgen, das ganze Leben ist jetzt trübe.
Durch die Erledigung der Ruhrgeschichte zu unserem Ungunsten, "Aufgabe des passiven Widerstands", ist nun unser Schicksal vollständig besiegelt. Der Dollar stand gestern auf 700 000 000 M.
Unser Wirtschaftsleben ist nun vollständig zerrüttet.
Dollar gestern 21 Milliarden. Das gibt ein Bild von der ungeheuren Teuerung dieser Tage. Hklt. Bier kostet 50 Milliarden, gibt überhaupt keines mehr. Was soll mit der Kirchweih werden. Das beste ist, man hält nichts ab. Wie wird's über acht Tage sein?
Kirmesvorabend. Schlechtes Wetter. Hochwasser. Die ganze Woche schlechtes Wetter. Gestern ein Schwein aus unserem Stall geschlachtet. 200 Pfd. Schlachtgewicht. Das Geschäft wird durch die enorm hohen Preise wohl schlecht werden. Der Hklt. Bier kostet uns 175 Milliarden. Gänse, Fleisch, Wurst sehr hoch.
Kirchweih 1923
Einnahme Ausgabe
von Sonnabend bis Sonntag
rund 3 Milliarden für Bier " "
654 Lit. 310 " 202 "
à 75 Milliarden à 175 " à 500 " = 400 875 Milliarden = 542.500 " = 1012.500 "
Montag 2,3 Milliarden
1 Schwein von uns, gewogen Fleischgewicht 2 Ztr., verkauft 130 Pfd. für Zigaretten für Semmeln u.s.w. Arbeitslöhne
= 1200.000 = 800 000 = 200 000 = 400 000
Summa: 5,3 Milliarden Fleisch übrig 70 Pfd
Überschuß rund 4 645 875 6665 Millionen
Trotz der hohen Preise gab es viel Leute und wurde tüchtig getrunken. Am ersten Tag kostete das Bier 2 Milliarden, am zweiten 5 Milliarden. Am I. war das Bier schon um 10 Uhr alle, am II. war nur bei uns Tanz. Die Musik war auch zufrieden. Am I. annähernd 2 Billionen, am II. 1 Billion. Also unser ganzes Kirchweihfest mit Verdienst ins Wasser gefallen. Unser Schwein und Gänse weg, dafür ein paar wertlose Papierlappen da und wir sperren das Maul auf und glotzen einander an. Schwamm drüber.
Früh 1/2 11 Uhr kalt. Die Woche über immer Regen, so daß recht wenig draußen geschafft werden konnte.
Der Dollarstand nach letzter Meldung auf 623 Milliarden. 1 1/4 Pfd. Leder gekauft für 1 Billion und 100 000 Milliarden. 1 Laib Brot 60 Milliarden. Der Hklt. Bier kostet uns diese Woche 35 Goldmark, verkauft das Glas 20 Milliarden. Das letzte Faß Bier heute angesteckt. Es wird vor der Hand kein Bier mehr angeschafft, bis das wertbeständige Geld im Umlauf ist, das heißt, wenn wir wieder nach Pfennig rechnen.
Seit vorgestern ist jeglicher Verkehr nach Bayern unterbunden. In München soll von Ludendorf und Hitler die Regierung gestürzt worden sein. Dann hört man, Hitler und Ludendorf seien flüchtig. In Sachsen ist die Soziald.-Kommunistische Regierung aufgelöst und durch ein anderes Kabinett ersetzt worden.
Seit Donnerstag steht der Dollar auf 2 500 Milliarden. Ein Umsturz sondergleichen. Bier haben wir keines. Der Hklt. wird schon 25 Billionen kosten, also man ist nicht mehr in der Lage, welches anzuschaffen, weil es gleich bezahlt werden muß. Immer weiter kommt man runter. Der Putsch in Bayern ist im Sande verlaufen. Kahr hatte die Reichswehr hinter sich, infolge dessen wurde er mit dem Hitler und den Hakenkreuzlern fertig.
Ludendorf und Hitler hatten geplant, mit einem gewaltigen Zug nach Berlin zu marschieren und die Reichsregierung abzusetzen und sich ans Ruder. Sie hätten wohl unterwegs gewaltig Zulauf erhalten, aber ab der thüringischen Grenze wäre ihnen doch Halt geboten worden und ein mörderischer Kampf wäre die Folge gewesen, was auch Kahr in seinen späteren Ausführungen darlegte.
Am 3. Dezember muß ich wieder nach Meiningen zum Schwurgericht, vom vorigten Mal ist Gustav Utendörfer, Schmalkalden, wieder dabei.
Bin heute in Meiningen gewesen. Diesmal hat die Periode 2 1/2 Wochen gedauert.
Der letzte Fall betraf Gustav Utendörfer, respt. seinen Sohn aus Schmalkalden, betreff Tötung eines Menschen. Bauersachs und ich wurden mit ausgelost, nachdem der Verteidiger 7 Mann abgelehnt hat, desgl. auch der Staatsanwalt 6 Mann. Sonnabend dauerte die Verhandlung bis 8 Uhr, Montag bis 12 Uhr.
Dienstag fuhren wir mit dem Zug um 1/2 12 Uhr in Meiningen wieder ab.
Trotz des Preisabbaues war das Leben in Meiningen recht teuer. Wir wohnten wieder in der "Post". Mittag, Übernachten mit Kaffee kostete 6 1/2 Billionen, Glas Bier 350 Millionen u.s.w. Was wir vergütet bekamen, circa 9 Billionen pro Tag, reichte kaum aus.
Geschäft: Verhältnismäßig wurde in diesem Jahr immer noch Bier getrunken. I. gingen die Geschäfte, II. war das Radlerfest und III. war die Kirchweih auch gut, aber durch das rapide Steigen aller Produkte infolge der kolossalen Geldentwertung wurde absolut nichts verdient. Dabei, und sonderbar, allemal nach so einem Fest, setzte eine große Geldentwertung ein.
Ja, die übriggebliebenen Lappen haben wir heute noch. Infolge dessen war Geldknappheit in allen Ecken. Seit ein paar Wochen hat sich durch die Rentenmark das Bild geändert. Der Dollar steht auf festem Fuß. 1 Billion, 1 Rentenmark. Sofort ist alles gefallen, aber auch sofort alles zu haben. Fleisch, Wurst, Speck und Fett in Hülle und Fülle. Die landwirtschaftlichen Produkte alle bedeutend unter Friedenspreis.
Selbstverständlich sind die Löhne und Gehälter auch tüchtig zurück gegangen. Wenn die Sache Bestand hat, werden wir wohl sehr arm, aber trotzdem wieder gesund. Das verflossene Jahr bedeutet entschieden einen Wendepunkt in der Entwicklung unserer Wirtschaft nach dem Zusammenbruch vom Jahre 1918.
Die Geldentwertung, anfangs nur als Teuerung empfunden, hatte im letzten Jahr infolge des Anschwellens der Papiergeldflut einen Umfang angenommen, wie ihn der ärgste Pessimist kaum für möglich gehalten hatte. Wir hatten uns noch nicht daran gewöhnt, Millionäre zu sein, da waren wir schon Milliardäre und aus den Milliardären wurden noch schneller Billionäre. So konnte dies doch nicht weitergehen. Diese Erkenntnis bei der Regierung drang doch endlich einmal durch und es wurde dieser Sache durch die Rentenmark endlich einmal Halt geboten. Wir haben allerdings bis jetzt noch wenig davon in den Händen, aber in 2 Monaten soll es geschafft sein. Die Stadt- und Landgelder, auch die der Einzelstaaten werden jetzt aufgerufen. Die Steuern - ein Kapitel für sich.
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